In der gegenwärtigen Diskussion um die „Neue Mitte“ wird manchmal vergessen, dass es allein in der neueren Geschichte Schwabmünchens bereits diverse Versuche gab, eine solche Mitte zu schaffen.
Den bisher letzten Versuch stellte die Gestaltung des Schrannenplatzes zu Beginn der 90er Jahre dar. Er sollte das „Wohnzimmer“ der Schwabmünchner werden, ein Raum zum Verweilen und Wohlfühlen, und doch ein Ort der Begegnung und des öffentlichen Lebens der Stadt.
Doch bereits etliche Jahre zuvor, Ende der 1960er Jahre, hatte man sich vorgenommen, ein, wie es im unten zitierten Artikel heißt, „neues Stadtzentrum“ zu schaffen. Diesmal ein paar Schritte weiter nördlich. Der Raum vor der Stadtpfarrkirche war allerdings schon vor seinem „Umbau“ der Ort gewesen, den man vielleicht am ehesten als „Zentrum“ hätte bezeichnen können.
Hier befanden sich drei Gastwirtschaften und ein Café in engster Nachbarschaft. Hier gab es ein Kino, mehrere Geschäfte und einen Friseurladen. Hier führte der Weg von Festzügen und Prozessionen vorbei, hier wurde 1953 die Stadterhebung gefeiert, hier begann und endete für viele der Marktbummel, als der Michaelimarkt noch in der Fuggerstraße stattfand.
Und hier stand das „alte Rathaus“.
Das Haus hatte in seinem langen Leben zahlreichen Institutionen Raum geboten. Es war Schule, Magistratssitz, Rathaus mit Standesamt für die Marktgemeinde, Stadtpost, es beherbergte die Landpolizei, das Rote Kreuz, die Kreishandwerkerschaft, den VdK, die Stadtbücherei und auch die Kreisleitung der NSDAP.
Als Rathaus war das Haus immer wieder Anlaufstelle für die Bürgerinnen und Bürger und oft mit ganz persönlichen Erinnerungen verbunden - man denke nur an die Ehen, die dort geschlossen wurden, die Geburten und Todesfälle, die man dort meldete.
"Das alte Rathaus steht nicht mehr" – so (scheinbar) lapidar betitelte die Schwabmünchner Allgemeine vom 8. Mail 1969 einen Artikel, der einen der größten und schwerwiegendsten Eingriffe in das Stadtbild Schwabmünchens bedeutete. Und der noch heute - fast ein halbes Jahrhundert später - lebhafte Diskussionen hervorruft.
Die Rede ist vom Abbruch des Hauses, das im Süden den optischen Abschluss der Fuggerstraße gebildet hatte.
"Eine Sünde, das Haus abzureißen", urteilen etliche Schwabmünchner noch heute.
"Eine Notwendigkeit", urteilten Stadtplaner und Straßenbauer zur damaligen Zeit.
Ende der 1960er Jahre war der Eingriff der modernen Auffassung von der "autogerechten" Stadt geschuldet. Hauptargument für den Abriss war, dass der Bau ein Verkehrshindernis für die durch Schwabmünchen führende Staatsstraße darstellte. Damals Argument genug, verschwinden zu lassen, was störte. Nicht nur in Schwabmünchen.
Und weil der Bau marode war und nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand hätte saniert werden können, ließ die Zustimmung der Stadt nicht lange auf sich warten.
Das alte Rathaus war seit fast 200 Jahren signifikanter Bestandteil des Stadtbildes gewesen. Die Fotografien und Postkarten, die den Blick durch den Torbogen zeigen, der altes Rathaus und „Techentinhaus“ miteinander verband, sind zahlreich. Er war äußerst fotogen, dieser
Torbogen. Doch auch er musste weichen. Was hätte er auch noch verbinden sollen? Es
war nicht geplant, an Stelle des
Ensembles etwas Neues entstehen zu lassen.
Aus dem Zeitungsartikel zum Abbruch des alten Rathauses, den ich hier auszugsweise zitieren möchte, spricht viel Wehmut. Erschienen ist er in der Schwabmünchner Allgemeinen vom 08.05.1969. Geschrieben hat ihn Ulrich Wagner, der stets mit Herzblut die Geschicke Schwabmünchens begleitete.
"Das alte Rathaus steht nicht mehr.
Abbruch ein Stück Alt-Schwabmünchens war Angelegenheit weniger Stunden
Der 7. Mai 1969 sah das alte Schwabmünchner Rathaus in Staub und Schutt versinken. Der architektonische Punkt, der bisher die Fuggerstraße im Süden abschloss, ist verschwunden; die Zukunft des neuen Stadtzentrums hat begonnen.
Früher war der Abbruch eines Hauses fast noch eine humane Angelegenheit, denn was konnte man nicht alles an Türen und Fenstern, Brettern und Balken, ja auch an Steinen wieder
verwenden. Heute ist das alles nicht mehr begehrt. Ein Abbruch alter Methode würde zu viel Geld kosten, weil das alte Zeug nichts mehr wert ist. Heute wird ein altes Haus nicht mehr abgebrochen, sondern dem Erdboden gleichgemacht, und zwar mit brutaler Gewalt, und dann kann der Schutt abgefahren werden.
Am gestrigen Mittwochnachmittag wurde erst noch die Dachdeckung abgenommen, dann setzte ein hydraulischer Löffelbagger der Baufirma Hebel seine Zähne gegen den Nordgiebel an und riss
ihn zu Boden. Von der Nordostecke aus wurde hinübergearbeitet in die Luitpoldstraße. Stück um Stück brach herunter, Teile des Dachs oder mächtige Mauerblöcke mit lautem Krachen und unter Aufwirbeln undurchsichtiger Staubwolken. Schließlich fuhr der Bagger noch in den ehemaligen Freithof ein und führte sein Werk von Süden her zu Ende. Ein mächtiger Schuttberg liegt nun zur Abfuhr bereit.
Das Gebäude war überaltert und abgewohnt, in seinen sanitären Anlagen unmöglich, für den Verkehr ein Hindernis. Man weiß, dass es nicht mehr erhalten werden konnte. Aber es war ein in seinen Maßen harmonischer Bau und stand mit der Michaelskirche doch durch Generationen mitten in der Stadt, das Straßenbild beherrschend. Man war an den alten Bau gewöhnt und hat ihn doch gerne gehabt, wenn man nicht dazu verurteilt war, in ihm zu arbeiten.
…
Viel Geschichte war mit ihm verbunden und darum ist am gestrigen Tage auch ein Stück Schwabmünchner Herz mitgegangen, als die alten Mauern fielen. Nur langsam wird man sich daran gewöhnen, dass das alte Rathaus nicht mehr auf seinem Platz zu finden ist.“
In der Gegenwart hört man oft, heute sei man schlauer und würde einen solchen Eingriff tunlichst vermeiden.
Aber manchmal ist es eben so, dass Altes weichen muss, um Neuem Platz zu schaffen. Unsere vornehmlichste Aufgabe in einem solchen Fall wäre allerdings, darüber zu wachen, dass das Neue auch von besserer Qualität ist als das, was es ersetzt.
Sabine Sünwoldt